Nicht-substanzgebundene Süchte wie die nach dem Glücksspiel, Internet, Kaufen oder Computerspielen haben mit substanzgebundenen Abhängigkeiten viel gemeinsam – auch was die Aktivitäten von Neurotransmittern im Gehirn anlangt. Den aktuellen Stand des Wissens zu den „neuen Süchten“ diskutieren internationale SuchtforscherInnen in Wien.

Auf der Konferenz der Europäischen Vereinigung für Suchttherapie (European Association on Addiction Therapy, EAAT), die derzeit in Wien stattfindet, beraten ExpertInnen aus aller Welt die gesamte Palette von Abhängigkeiten: Präsentiert werden neueste Erkenntnisse über substanzgebundene Süchte wie die nach Alkohol, Nikotin, Marihuana oder Kokain und über solche, die nicht an Stoffe, sondern ein bestimmtes Verhalten wie Kaufen, Glücksspielen oder Internetsurfen gebunden sind.

„Diese ganzheitliche Betrachtungsweise hat viel für sich“, sagt Dr. Marc Potenza, Leiter der Abteilungen für Glücksspielsucht und für die Erforschung weiblichen Suchtverhaltens an der renommierten Yale-University im US-Bundesstaat Connecticut, sowie Direktor des Neuroimaging-Labors am West Haven Veteran’s Administration Hospital in New Haven. “

Tatsächlich haben substanzgebundene und nicht-substanzgebundene Abhängigkeiten viel gemeinsam. Es gibt aber auch Unterscheidendes. Die richtige Einordnung ist dabei keineswegs nur eine akademische Diskussion, es hat große Auswirkungen auf die therapeutische Strategie, ob ich eine nicht-substanzgebundene Abhängigkeit als Störung der Impulskontrolle betrachte oder als eine Variante von Drogensucht.“

Krankhaftes Spielen: Viele Gemeinsamkeiten mit Substanzabhängigkeit

Auf der Wiener Konferenz berichtet Dr. Potenza vor allem über seine Untersuchungen zu pathologischem Spielverhalten. „Epidemiologischer Studien zeigte uns, dass krankhaftes Spielen und substanzgebundene Süchte häufig gemeinsam vorkommen,“ so der Experte. „Aber nicht nur das, beide Suchtformen zeigen auch die gleichen Verlaufskurven, indem sie bei jüngeren Menschen häufiger, bei älteren seltener vorkommen, was wir als eine Folge eines psychologischen Reifungsprozesses sehen.“

Parallelen finden sich aber auch, was die Unterschiede zwischen den Geschlechtern angeht, sagt Dr. Potenza: „Vor rund 40 Jahren haben wir bei Frauen noch beobachtet, dass die Sucht oft erst in späteren Lebensjahren beginnt, sich dafür aber viel rascher verschlimmert hat – und zwar egal, ob es sich um Drogen oder Glücksspielsucht handelte. Nun hat sich das Suchtverhalten zwischen Männern und Frauen deutlich angeglichen, und wieder in beiden Bereichen parallel.“

Nicht nur die epidemiologischen Daten, auch physiologische Messergebnisse zeigen große Ähnlichkeiten auf: Die jüngsten Fortschritte der bildgebender Verfahren wie Positronenemissionstomographie (PET) oder funktionelle Magnetresonanztomographie (fMRI), die es ermöglichen, dem Stoffwechsel einzelner Substanzen im Gehirn buchstäblich bei der Arbeit zuzusehen, haben ans Tageslicht gebracht, dass auf der Ebene der Neurotransmitter beim so genannten „Craving“, dem unbedingten Verlangen nach dem Gegenstand der Sucht, die gleichen biochemischen Muster aktiv werden – egal, ob es sich um eine Droge oder ein Verhalten wie das Spielen handelt.Noch sind allerdings nicht alle Zusammenhänge entschlüsselt. „Höchst interessant wären Cluster-Analysen über das gemeinsame Auftreten mit anderen psychiatrischen Störungen wie Psychosen, Depressionen und krankhaften Stimmungsschwankungen. In den diesbezüglichen Vergleichsstudien wurde krankhaftes Glücksspiel aber immer ausgelassen, sodass wir dazu noch viel zuwenig wissen“, beklagt Dr. Potenza.

Für Stirnrunzeln unter ForscherInnen sorgt auch, was eine genetische Vergleichsstudie unter männlichen Zwillingen aufgezeigt hat so Dr. Potenza: „Es gab gemeinsame Erbmerkmale von pathologischem Spielen und Alkoholismus, was eine sogenannte externalisierende Störung ist, aber sogar noch signifikantere mit schwerer Depression, die zu den internalisierenden Störungen gerechnet wird. Wir können nun nicht klar erkennen, in welche Kategorie Spielsucht einzuordnen ist, obwohl wir andererseits wissen, dass es zwischen diesen beiden Gruppen auch sonst Ãœberlappungen gibt.“

Weitere Informationen:
www.sucht-addiction.info
www.eaat.org