In neun von zehn Haushalten mit Kindern steht mindestens ein Computer, vier Fünftel der Familien haben einen Zugang zum Internet und Spielkonsolen werden in drei Viertel der Haushalte genutzt. Stolze 20 Prozent der Einjährigen in Deutschland sitzen regelmäßig vor dem Fernseher, von den Dreijährigen sogar annähernd 90 Prozent – das sind die Ergebnisse der KIM-Studie 2006 und einer aktuellen Erhebung des Internationalen Zentralinstituts für das Jugend- und Bildungsfernsehen. Zahlen, die belegen, wie sehr bereits der Alltag von Kleinkindern von Medien bestimmt wird. Die Literaturwissenschaftlerin Gudrun Marci-Boehncke von der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg formuliert es noch drastischer: „Wer nicht schläft, ist medial.“

Die Medien sind immer dabei
Gemeinsam mit Prof. Dr. Matthias Rath hat Gudrun Marci-Boehncke ein Jahr lang die Medienwelt von 80 Vorschulkindern in fünf Kindergärten einer Kleinstadt in Baden-Württemberg untersucht. Ein Ergebnis der Ludwigsburger Wissenschaftler: „Irgendetwas Mediales machen die Kinder immer. Selbst wenn sie „Mensch ärgere dich nicht“ miteinander spielen, hören sie im Hintergrund Benjamin Blümchen oder Pippi Langstrumpf. Sie sehen zu, wenn der große Bruder am Computer spielt oder wenn beim Abendessen die Nachrichten angeschaltet werden.“

Kommunikativ kompetente Kinder
Wäre es unter diesen Voraussetzungen nicht besser, den Kindergarten frei von den sogenannten Neuen Medien zu halten? Mit den Kindern zu lesen, basteln oder zu klettern statt sich mit Fernsehen, Computer oder Spielkonsole zu beschäftigen? Nein, sagen viele Pädagogen und Medienwissenschaftler und widersprechen damit denen, die am Konzept der Bewahrpädagogik festhalten wollen. Auch offiziell ist die Medienerziehung längst in den Kindergärten angekommen, zumindest wenn man dem Papier trauen darf, auf dem die Bildungs- und Orientierungspläne gedruckt sind. Schließlich taucht der Begriff „Medien“ in allen Plänen der einzelnen Bundesländer auf. Gefüllt ist er dort allerdings höchst unterschiedlich, erklärt der ehemalige Direktor des Staatsinstituts für Frühpädagogik in München, Prof. Dr. Wassilios E. Fthenakis: „Eine kritische Analyse der Bildungspläne der Bundesrepublik lässt zunächst keine einheitliche Behandlung dieses Themas erkennen. Es gibt Bildungspläne, die der Medienkompetenz keine Bildungsdimension zuschreiben. Es gibt andere, die Medienkompetenz etwa als Teil der technischen Bildung verstehen. Darüber hinaus gibt es Bildungspläne, wie beispielsweise den bayerischen oder den hessischen, die Medienkompetenz als Bildungsdimension anerkennen, diese auch explizit darlegen und in die Bildungsvision eines kommunikativ kompetenten Kindes einbinden.“

Unzureichend qualifiziert
„Medienerziehung bietet das Gegengewicht zur passiven Medienrezeption – Mediennutzung heißt erproben dürfen“, betont Marci-Boehncke. „Vor allem Kinder, die zu Hause keinen angemessenen Zugang zu Medien haben, müssen frühzeitig lernen, mit ihnen umzugehen. Angemessen heißt hier: selbstbestimmt, kritikfähig, kreativ und breit gefächert.“ Doch gelehrt und vermittelt werden kann immer nur das, was von den Lehrenden auch sicher beherrscht wird. Und hier liegt das Dilemma. So hat eine aktuelle Studie der Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen (NRW) festgestellt, dass heutige Erzieherinnen ihre Qualifikation für die Medienerziehung noch schlechter beurteilen als vor zehn Jahren. Insgesamt fühlen sich 91% für die Medienerziehung schlechter qualifiziert als für andere Förderbereiche, und dies zum Teil in erheblichem Maße. Auch ihre eigene Medienkompetenz schätzen Erzieherinnen nicht positiv ein, insbesondere für den Umgang mit Computer und Internet. In der Studie gaben sich immerhin fast 70% der Befragten mit Blick auf das Internet Noten zwischen 4 und 6.

Außerdem – so die Studie – haben 85 Prozent der Erzieherinnen in den letzten fünf Jahren an keiner einzigen medienpädagogischen Fortbildung teilgenommen. Die Frage, wie man pädagogische Fachkräfte für den kindgerechten Umgang mit Medien professionalisieren könne, sei in der Tat noch nicht befriedigend beantwortet worden, bestätigt auch Fthenakis. Es wird also Zeit, dass diejenigen, die Kinder auf ihrem Weg zu mündigen Mediennutzern unterstützen sollen, auch die entsprechende Aus- und Weiterbildung bekommen.