Führen Onlinerollenspiele (MMORPGs) in die soziale Isolation, oder fördern sie kommunikative Schlüsselqualifikationen des 21. Jahrhunderts? Dieser Frage gingen die allvatar-Moderatoren Luki und Boba am 27.11. gemeinsam mit vier Experten nach. Soziologin Maria Angerer vom Trendbüro Hamburg, Tom Putzki, Nachwuchsbeauftragter des G.A.M.E. – Bundesverband der Entwickler von Computerspielen e.V., Kinderneuropsychologe Dr. Peter Pohl und Christian Luipersbeck als Repräsentant der Onlinerollenspieler beleuchteten die Thematik von verschiedenen Seiten.
Interessierte können sich im Video on Demand-Bereich von die gesamte Sendung kostenfrei anschauen.
Dominiert diese digitale Unterhaltungsform das Leben der Spielenden, trennt sie Mensch von Umfeld? Was genau unterscheidet Passion von Sucht? Erfüllen auch andere Unterhaltungsformen den Wunsch nach Identitäten-Erweiterung? Wie gehen Eltern mit „zockenden“ Kindern, Freunde mit spielnärrischen Freunden um? Machen MMOs schlau? Oder dumm? Folgende drei Kernthesen kristallisierten sich nach zwei Stunden angeregter, teilweise sehr kontrovers geführter Diskussion heraus:
Kernthese 1
Onlinespiele fördern Schlüsselqualifikationen zu Kommunikationsfomen der Zukunft und steigern durch ihre soziale Interaktion das Selbstbewusstsein
In Onlinerollenspielen kommt der Live-Interaktion mit anderen eine ausgesprochen große Bedeutung zu. Chats und Gespräche finden statt, Kontakte vertiefen sich durch regen Dialog. Gesellschaftlich schälen sich derzeit neue Formen menschlicher Kommunikation heraus: Chat, Twitter, SMS, Ausdruck von Emotionen durch Emoticons oder klar geregelte Formulierungen, Netikette und das Verwenden des Computers als Gesprächs-Medium – zum Beispiel durch Skype oder Teamspeak – gehören zur Unterhaltung im Informationszeitalter dazu. Onlinespiele nehmen Berührungsängste vor diesen Gesprächsformen und fördern diesbezügliche Kenntnisse, weil ihnen genau diese Art des Dialogs zugrunde liegt. Ob spielerische Schlüsselqualifikation wie Teamfähigkeit, Führungsqualität, strategisches Denken in MMO-Kosmen tatsächlich erlernbar sind oder schon vorhanden sein müssen, entschied die Diskussionsrunde nicht eindeutig. Klar ist: Im realen Leben finden diese Dinge Anwendung.
Kernthese 2
Hohe soziale Anerkennung macht die größte Faszination eines MMORPGs aus. Je geringer die soziale Anerkennung im realen Leben ist, desto mehr dominieren Fantasiewelten die Wirklichkeit
Reger Kontakt zu Spielgefährten schenkt vielen Gamer emotionale Sicherheit: Bei guter Teamarbeit erfahren Spieler umgehend Lob ihrer Gefährten und Missionsbegleiter, gemeinsame Pläne werden geschmiedet, Feldzüge vorbereitet, Taktiken ausgeheckt. Freundschaften wachsen, Gewohnheiten etablieren sich – Kaffeekränzchen digital! Diese Interaktion mit anderen spielt eine maßgebliche Rolle und bildet den Hauptgrund der MMO-Beliebtheit. Und genau hier lauert auch Gefahr: Wer wenig soziale Anerkennung erfährt, sucht sie umso eifriger im Spiel.
Kernthese 3:
Nicht nur Games stillen das Bedürfnis nach Identitätenerweiterung, sie stellen aber Eltern und soziales Umfeld vor ungekannte Probleme im Umgang damit
Bücher helfen seit Jahrhunderten, geistig zu reisen. Kino und Fernsehen kamen als Plattformen einladender Fantasiekosmen hinzu. Selbst im wirklichen Leben treten Menschen Freunden gegenüber anders auf als ihren Eltern, zeigen im Kollegenkreis andere Seiten von sich als im Chor, Taekwondo oder Spanischkurs. Onlinespiele leisten das gleiche – und erlauben neben dem Erwerb einer neuen Identität zusätzlich Interaktion und Gespräch. Eltern kennen diese Form der elektronischen Unterhaltung allerdings meist nicht und können daher häufig nur schlecht mit einem „zockenden“ Kind umgehen. Ähnlich geht es Freunden, Vereinsmitgliedern oder denjenigen, die ein Hobby mit Onlinespielern teilen. So hat der treue Skatbruder auf einmal weniger Zeit für ausgedehntes Kartenklopfen, weil er sich mit neu gewonnenen Freunden im Games-Universum trifft; nach dem Badminton eilen Zocker ohne ein gemeinsam genommenes Bierchen nach Hause, um ein Spielfeld der ganz anderen Art zu betreten. Das kommt nicht gut an, sondern führt im Gegenteil schnell zu Missmut, allzu ausgeprägter Strenge, Hilflosigkeit oder Fehlinterpretationen.